Vorneweg, unser gemeinnützige Verein ist politisch neutral und wird sich dazu nicht äussern.
Dennoch möchten wir Ihnen die Gelegenheit der Diskussion bieten:
Gegner der Initiative sagen, die Berufslehre sei gefährdet:
z.B. Frau Ursula Renold, ehemalige Bildungsdirektorin BBT
http://www.nzz.ch/lebensart/auto-mobil/die-mindestlohninitiative-schadet-dem-modell-der-berufslehre-1.18291180
Gastkommentar
Die Mindestlohninitiative schadet dem Modell der Berufslehre
meint Ursula Renold
Sonntag, 27. April 2014Am 18. Mai 2014 stimmt der Schweizer Souverän darüber ab, ob zukünftig ein nationaler Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde oder 4000 Franken pro Monat gelten soll. Was als geeignetes Instrument zur Besserstellung von Menschen mit tiefem Lohn verkauft wird, wird sich negativ auf die Zukunft jener jungen Berufsnachwuchskräfte auswirken, die heute in Tieflohnbranchen noch einen Einstieg in eine breite Berufsbildung erhalten. Die Mindestlohninitiative kann das exakte Gegenteil dessen bewirken, was sie anstrebt.
Der weltweit höchste Mindestlohn gefährdet Arbeitsplätze und Lehrstellen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung besteht Konsens, dass moderate Mindestlöhne keine grossen Auswirkungen auf die Gesamtbeschäftigung haben. Hoch angesetzte Mindestlöhne hingegen schon. Und als hoch angesetzt muss der Schweizer Vorschlag bezeichnet werden: Er verlangt den weltweit höchsten Stundenansatz.
Die Höhe ist das eine, die Undifferenziertheit das andere. Der Vorschlag berücksichtigt weder regionale noch branchenspezifische Unterschiede. Firmen in städtischen Gebieten können höhere Lohnkosten eher auf ihre Kunden überwälzen, da hier die Kaufkraft höher ist. In grenznahen und ländlichen Gebieten ist dies nicht der Fall. Der Anreiz für Firmen, hier zu investieren, sinkt. Zudem wären gerade arbeitsintensive Branchen besonders von einem Mindestlohn betroffen. Arbeitsplatzabbau oder die Verlagerung von Arbeitsplätzen dürfte die Folge sein. Wo aber Arbeitsplätze im Inland verschwinden, da gehen Berufslehren verloren. Tieflohnbranchen wie der Detailhandel oder die Gastronomie sind aber gerade jene Branchen, die Jugendlichen mit schwachen schulischen Leistungen und praktischer Begabung den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Gehen diese Lehrstellen verloren, so trifft es die Zielgruppe, die man mit der Initiative unterstützen möchte. Dazu kommen die Verlockungen für Teenager: Wer im Alter von 16 Jahren die Wahl hat zwischen einer zwei-, drei- oder vierjährigen Lehre oder einem direkten Einstieg in den Arbeitsmarkt, wird abwägen. Angenommen, ein Jugendlicher wolle eine Berufslehre als Detailhandelsfachmann absolvieren. Während der dreijährigen Lehrzeit würde er rund 42 000 Franken verdienen. Bei direktem Einstieg in den Arbeitsmarkt erhielte er in derselben Zeit 100 000 Franken. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend an kurzfristigen Ertragsaussichten orientiert, ist die Gefahr gross, dass er dieser Verlockung erliegt. In der Phase der Adoleszenz ist dieses Risiko zudem besonders hoch, da eine Vielzahl von Jugendlichen schulmüde ist.
Der Direkteintritt ins Erwerbsleben führt zu eintönigen Jobs: Treten Jugendliche ohne breite Berufsbildung in den Arbeitsmarkt ein, laufen sie Gefahr, eintönige Jobs ohne Karriereperspektive anzutreten. Beispiele dafür gibt es in vielen Ländern. Exemplarisch sind die zahlreichen Jugendlichen in den USA bei Starbucks, Dunkin’ Donuts, oder McDonald’s. Ohne breite berufliche Grundbildung, wie sie die Schweiz kennt, ist das berufliche Auf- und Umsteigen kaum möglich. Mit dem direkten Eintritt in den Arbeitsmarkt werden weder überdauernde Schlüsselkompetenzen wie Beratungs-, Team-, Problemlösekompetenz noch aktives oder selbständiges Denken und Handeln gefördert, denn solche Ausbildung braucht Zeit und kostet die Betriebe Geld. Folglich können Ungelernte nur für eng definierte Jobs angelernt werden.
Schliesslich würden staatlich verordnete Mindestlöhne auch die Budgets für Weiterbildung gefährden: Müssten Betriebe einen Mindestlohn von 4000 Franken pro Monat bezahlen, so fehlte ihnen das Geld für die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden. Solche Weiterbildung ist angesichts des Fachkräftemangels und der künftig beschränkten Zuwanderungsmöglichkeit aber äusserst wichtig.
Ohne Berufslehre gibt es auch keinen Zugang zu weiterführenden Bildungen: Die Berufslehre ist die wichtigste Schutzmassnahmen vor späterer Armut. Hinzu kommt, wer keinen Abschluss auf Sekundarstufe II hat, kann auch keine weiterführenden Bildungsabschlüsse erwerben. Dies ist angesichts des raschen Wandels in der Arbeitswelt für alle Erwerbstätigen notwendig und Voraussetzung für Lohnzuwachs.
Die Schweizer Berufsbildung ist weltweit gesehen ein Erfolgsmodell. Sie garantiert eine tiefe Jugendarbeitslosigkeit und ermöglicht dank hoher Durchlässigkeit im gesamten Bildungssystem eine Vielzahl von Karrieremöglichkeiten, was mit Lohnsteigerungen verbunden ist. Dieses Erfolgsmodell darf nicht durch staatlich verordnete Fehlanreize gefährdet werden. Es gibt bessere Instrumente, um das Ziel zu erreichen: Die in Gesamtarbeitsverträgen ausgehandelten Minimallöhne berücksichtigen auch Unterschiede nach Branche und Region.
Befürworter der Initiative sagen, die Berufslehre sei nicht gefährdet:
z.B. Andy Tschümperlin, Nationalrat SZ, Präsident der SP-Bundeshausfraktion
http://www.mindestlohn-initiative.ch/2014/04/mindestloehne-staerken-die-berufslehre/
Mehr als zwanzig Jahre habe ich auf der Sekundarstufe I junge Menschen ausgebildet, die zuerst ihre Berufswahl planten, dann den Berufseinstieg vollzogen. Nie habe ich während dieser Zeit erlebt, dass Jugendliche nach der obligatorischen Schulzeit gesagt hätten: „Ich will keine Berufsausbildung machen, ich möchte nur Geld verdienen.“ Für junge Menschen ist die Ausbildung wichtiger als Geld.
Kühn behaupten die Gegner der Mindestlohninitiative, dass mit der Mindestlohn-Initiative der Anreiz, eine Lehre zu absolvieren, verloren ginge. Genau das Gegenteil passiert. Mit der Mindestlohninitiative werden die Berufslehren aufgewertet.
Wer als Lehrling weiss, dass nach einer abgeschlossenen Berufslehre eine anständige Bezahlung erfolgt, ist motivierter. Es kann doch einfach nicht sein, dass nach einer dreijährigen Lehre ausgebildete Fachkräfte unter 4000 Franken verdienen. Leider ist das heute in der reichen Schweiz immer noch eine Tatsache. Rund ein Drittel der Arbeitenden, die weniger als diese 22 Franken pro Stunde verdienen, haben eine Berufslehre abgeschlossen. 70 Prozent davon sind Frauen. Tiefstlöhne erhalten Coiffeusen, Verkäuferinnen, Flugbegleiterinnen aber auch Arbeiter im Gartenbau.
Frauen sind doppelt so häufig von Tieflöhnen betroffen, obwohl die Lohngleichstellung seit über 30 Jahren in der Bundesverfassung mit dem Satz „Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“ verankert ist. Im Jahr 2010 erhielten 5,6 Prozent der Männer mit einem Lehrabschluss einen Tieflohn. Mit 15,7 Prozent waren die Frauen fast dreimal so hoch betroffen. Mindestlöhne sind somit ein wirksames Instrument gegen die Lohndiskriminierung von Frauen.
Wer sein Leben mit einem Lohn unter 4000 Franken bestreiten muss, der bekommt später dann auch eine tiefere Rente. Damit werden die AHV-Beiträge tiefer, die Pensionskassenguthaben – also die 2. Säule – können nur gering oder gar nicht aufgebaut werden. Geld für den Aufbau einer 3. Säule ist nicht vorhanden. Arbeiterinnen und Arbeiter mit zu tiefen Löhnen werden also doppelt bestraft. Wer Ja sagt zu tiefen Löhnen, der sagt auch Ja zu tiefen Renten. So einfach ist das.
Am 18. Mai 2014 haben wir die Gelegenheit, mit einem Ja zur Mindestlohninitiative allen Frauen und Männern in unserem Land, die jeden Tag hart arbeiten, einen gerechten Lohn zu garantieren. Ein starkes Land braucht faire Löhne.
Was ist Ihre Meinung?
Übrigens:
„Easyvote“ vom Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ) erläutert nochmals in Kürze die Absicht der Initianten und bietet weitere Stimmen von Befürworter und Gegner: