Neue Zürcher Zeitung 09.11.2007, Nr. 261, S. 69
Dossier Mensch + Arbeit
Von Stefan C. Wolter*
Subventionen sind kein Rezept gegen den Lehrstellenmangel
Angesichts der angespannten Lage auf dem Schweizer Lehrstellenmarkt werden häufig Subventionen für Firmen gefordert, die Lehrlinge ausbilden. Der Autor zeigt, dass eine Subventionierung sehr teuer wäre und kaum zusätzliche Lehrstellen schaffen würde. Besser wäre, den Unternehmen möglichst viel Flexibilität bei der Lehrlingsausbildung zu belassen. (Red.)
Die Lage auf dem Schweizer Lehrstellenmarkt ist seit vielen Jahren angespannt und verbessert sich trotz kräftigem Wirtschaftswachstum nur langsam.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Lehrstellensituation nachhaltig wieder ins Gleichgewicht gebracht werden kann. Zentral für einen gesunden Lehrstellenmarkt ist nach wie vor die betriebliche Kosten-Nutzen-Balance bei der Ausbildung. Niedrige Nettokosten oder gar ein Nettonutzen aus der Ausbildung stellen für die Betriebe den grössten Anreiz dar, Lernende auszubilden. Verlockend ist deshalb der Gedanke, dass man durch eine Subventionierung der ausbildenden Betriebe die Nettokosten der Ausbildung senken und somit die Schaffung von Lehrstellen ankurbeln könnte.
Wichtiges Kosten-Nutzen-Verhältnis
In den vergangenen Jahren wurden die
Ausbildungsentscheide von Schweizer Firmen umfassend erforscht. Dabei hat sich deutlich gezeigt, dass eine Ausbildung sich vor allem betriebswirtschaftlich rechnen muss, damit Lehrstellen in genügender Zahl geschaffen werden.
In der Schweiz ist dieses
Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Grossteil der ausbildenden Betriebe sehr gut, wie die Resultate der zweiten nationalen Kosten-Nutzen-Analyse gezeigt haben. Der anhaltende Lehrstellenmangel ist deshalb vor allem darauf zurückzuführen, dass in den letzten Jahren die Schuljahrgänge demografisch bedingt gross waren und dass die Konjunktur immer erst mit einer starken zeitlichen Verzögerung wirkt. Strukturelle Probleme auf dem Lehrstellenmarkt – etwa, dass die Ausbildung von Lernenden generell zu teuer wäre – sind dafür weniger verantwortlich.
Trotzdem halten sich hartnäckig politische Forderungen, dass die ausbildenden Betriebe zu subventionieren seien. Finanziert würden die Subventionen entweder über allgemeine Steuermittel oder durch Abgaben nicht ausbildender Betriebe, die mit diesem Solidaritätsbeitrag die Ausbildungstätigkeit der anderen Betriebe zu unterstützen hätten. Für die Beurteilung solcher Subventionen ist es wichtig zu analysieren, wie sich die Ausbildungskosten auf das Ausbildungsverhalten der Betriebe auswirken. Dabei zeigt sich, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis vor allem für den Entscheid wichtig ist, ob überhaupt Lehrlinge in einem Betrieb ausgebildet werden oder nicht. Weit weniger sind die Nettokosten für die Zahl der ausgebildeten Jugendlichen pro Betrieb von Bedeutung. Der letztere Entscheid hängt vor allem vom zukünftigen Mitarbeiterbedarf oder auch von der Grösse des Unternehmens ab. Gerade die in der Schweiz dominierenden Klein- und Mittelbetriebe sind rein aus Gründen der Firmengrösse nicht in der Lage, eine beliebige Zahl von Lernenden auszubilden.
Diese Ergebnisse bedeuten, dass eine
Subventionierung von Lehrstellen nur bei Firmen, die sich neu in der Ausbildung engagieren, zu zusätzlichen Ausbildungsplätzen führen würde. Die bereits in der Ausbildung tätigen Firmen würden hingegen auch mit Subventionen praktisch keine zusätzlichen Lehrstellen im Betrieb schaffen. Für das Mittel der Subventionierung stellt sich dadurch ein grundlegendes Problem: Es ist schwierig bis unmöglich herauszufinden, ob sich ein Betrieb wirklich «neu» für die Ausbildung entscheidet und, falls ja, ob er dies nicht auch ohne Subventionierung getan hätte. Dies führt dazu, dass die Subvention im Endeffekt an fast alle ausbildenden Betriebe ausgerichtet werden müsste. Sie erreichte damit vor allem jene Betriebe, die sich auch ohne Subvention bereits in der Lehrlingsausbildung betätigt hätten.
Ineffizient, teuer und persistent
Mit Subventionen liessen sich also, wie unsere Simulationsrechnungen zeigen, zwar tatsächlich zusätzliche Lehrstellen schaffen. Die in der Praxis unumgängliche Finanzierung jener Betriebe, die sich auch ohne Subventionierung in der Lehrlingsausbildung engagiert hätten, führt jedoch dazu, dass der grösste Teil der Subventionen wirkungslos verpufft. Berechnungen zeigen, dass je nach Zahl der zusätzlich notwendigen Lehrstellen jede Lehrstelle einen Strom an Subventionen zwischen 15 000 und 18 000 Franken pro Jahr auslösen würde (Verwaltungskosten nicht eingerechnet). Die Beträge würden dabei mehrheitlich an Firmen fliessen, die heute schon einen Nettonutzen aus der Lehrlingsausbildung ziehen. Gerade in der Schweiz, wo zwei Drittel der Lehrverhältnisse bereits am Ende der Lehrzeit für den Betrieb einen Nettonutzen generieren, wäre deshalb mit einem sehr grossen Streuverlust bei den Subventionen zu rechnen.
Dass solche Mitnahmeeffekte nicht nur theoretisch relevant sind, sondern auch in der Realität den grössten Teil der Subventionen beanspruchen, zeigen neueste Analysen des in Österreich vor einigen Jahren eingeführten «Blum»-Bonus. Rund drei Viertel der eingesetzten Mittel scheinen einer reinen Umverteilung zu dienen, ohne dass damit eine einzige zusätzliche Lehrstelle geschaffen wurde. Die Zahl der neu geschaffenen Lehrstellen wurde demnach volkswirtschaftlich betrachtet mit einem sehr hohen Preis erkauft.
Umverteilungssysteme haben zudem die unangenehme Eigenschaft, dass sie selbst dann weitergeführt werden, wenn die Ursachen für ihre Einführung verschwunden sind. Mit anderen Worten: Es wäre zu befürchten, dass die Subventionierung von Lehrstellen – mitsamt dem dazugehörenden Verwaltungsapparat – auch dann noch aufrechterhalten würde, wenn diese gar nicht mehr notwendig wäre. Dieser Gefahr würden auch die in vielen Schweizer Kantonen gegenwärtig diskutierten Vorschläge für Berufsbildungsfonds unterliegen, deren Kernstück eine Förderung von Lehrstellen durch Subventionen oder durch die Entlastung von Ausbildungskosten ist. Das ineffizient eingesetzte Geld würde am Schluss an jenen Orten fehlen, wo es tatsächlich gewinnbringend und im Interesse der Jugend eingesetzt werden könnte.
Was ist zu tun?
Wenn die Subventionierung von Lehrstellen nicht der richtige Weg ist, was ist dann zu tun?
Entscheidend sind die Rahmenbedingungen, unter denen ausbildungswillige Firmen sich für oder gegen eine Ausbildung entscheiden. Die Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass sie einem grossen Teil von Unternehmen eine ausgeglichene Kosten-Nutzen-Bilanz erlauben. Da selbst Firmen in der gleichen Branche, Region oder bei gleichem Lehrberuf häufig ganz unterschiedliche Produktionsbedingungen haben, lautet das Zauberwort «Flexibilität». Die ausbildende Firma muss – innerhalb des durch die jeweilige Bildungsverordnung vorgegebenen Rahmens
– eine möglichst grosse Freiheit haben. Firmen müssen frei entscheiden können, ob sie nun ein Basislehrjahr einführen möchten oder bei der traditionellen Ausbildungsform bleiben und wie sie die Lernenden in den Produktionsprozess einbinden. Und ja, auch der Lehrlingslohn muss flexibel bleiben. Reformen der beruflichen Ausbildung müssen deshalb die Kosten-Nutzen-Bilanz einbeziehen und gleichzeitig darauf achten, dass – unter Berücksichtigung der Ausbildungsqualität – die Entscheidungsfreiheit der Firmen nicht zu stark eingeschränkt wird.
Dass die Lehrlingsausbildung auch bei hoher betrieblicher Freiheit in Zukunft für Betriebe und Lernende eine «Win-win-Situation» bleiben wird, dafür wird der durch die Demografie angeheizte Wettbewerb um gute Lernende sorgen.
* Prof. Dr. Stefan C. Wolter ist Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF) und leitet zudem die Forschungsstelle für Bildungsökonomie an der Universität Bern.
1030827, NZZ , 09.11.07; Words: 1063, NO: FO1II
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